Heiners Blog

Kino vs. Theater: Heiner Lauterbach über die Unterschiede

30.10.2020
Kino vs. Theater: Heiner Lauterbach über die Unterschiede

Welche Unterschiede ergeben sich eigentlich für einen Schauspieler beim Kino vs. Theater? Wie unterscheidet sich die Herangehensweise bei der Erarbeitung der Rolle und wie unterschiedlich laufen die Proben ab? Das erklärt Dir niemand geringeres als Heiner Lauterbach in diesem exklusiven Artikel.

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Kino vs. Theater: Pro und Contra als Schauspieler

Immer wieder werde ich gefragt: „Was machen sie lieber, Theater spielen, oder vor der Kamera agieren?“ Ich kann das in aller Entschiedenheit nicht beantworten. Zu unterschiedlich sind die Vorgehensweisen. Beide Spielarten beinhalten ihre Vor- und Nachteile. Die Wahrheit ist: Ich mache beides sehr gerne und vorzugsweise abwechselnd.

Es gibt viele reine Theaterschauspieler und viele reine Filmschauspieler. Ich persönlich war immer bemüht, beide Hauptkategorien meines Berufes auszuüben und darüber hinaus noch einige Nebenkategorien. Diese Nebenkategorien wären:

1. Das Schreiben: Ich habe sowohl Fernseh-  als auch Kinofilmdrehbücher verfasst und zusammen mit einem Kollegen ein Theaterstück geschrieben.

2. Regie führen: Ich habe sowohl im Theater als auch hinter der Kamera Regie geführt.

3. Das Produzieren: Zusammen mit einem Freund habe ich eine Produktionsfirma gegründet, mit der wir Fernseh- und Kinofilme produzieren.

Warum ich das alles mache hat zwei Gründe: Zum einen bin ich der Meinung, dass sich diese Dinge gegenseitig befruchten. Zum anderen, stelle ich sicher, dass es mir nicht so schnell langweilig wird. Doch kommen wir zurück zu den Unterschieden zwischen dem Schauspiel für einen Spielfilm und einem Theaterstück: Die meisten Unterschiede dieser beiden Arbeitsweisen liegen ja auf der Hand. Ich zähle sie hier aber trotzdem nochmal auf. 

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Kino vs. Theater: Die Chronologie

Am Theater kann der Schauspieler seine Rolle chronologisch abarbeiten. Er kann also mit dem Anfang des Stückes beginnen und sich dann organisch bis zum Ende der Geschichte durcharbeiten. 

Beim Film ist das so gut wie nie der Fall: Die Dreharbeiten werden in einem so genannten Drehplan zusammengefasst. Logistische und ökonomische Beweggründe stehen beim Film immer im Vordergrund. Drehmotive, also Filmsets, und Schauspieler werden abgedreht. Man kann sich vorstellen, dass das chronologische Erarbeiten einer Figur am Theater dem entgegengesetzt wesentlich angenehmer ist. Dieser Punkt geht also klar an das Theater.

Kino vs. Theater: Die Proben

Der nächste gravierende Unterschied besteht in der Probenarbeit. Während man im Theater zwischen drei und sechs Wochen Zeit hat ein Stück einzustudieren, bleiben einem am Filmset in der Regel nur wenige Minuten für eine Szene. Man muss hier aber natürlich differenzieren. 

Kameraarbeit ist nicht gleich Kameraarbeit. Es macht schon einen riesigen Unterschied, ob Du beispielsweise am Filmet von „Eyes Wide Shut“ arbeitest oder eine Folge für die wöchentliche Serie „Lindenstraße“ abdrehst. Stanley Kubrick würde Dir alle Zeit der Welt lassen, während ein Regisseur der Lindenstraße diese Zeit, nachvollziehbarer Weise, nicht hat. 

Dennoch, die Probenarbeit am Theater ist in aller Regel wesentlich genauer, differenzierter und entspannter. Somit macht sie auch mehr Spaß. Ich kenne nicht wenige Kollegen die sagen, dass eben diese Probenarbeit am Theater das Schönste am ganzen Beruf ist. Ich würde das in Teilen unterschreiben. 

In der Tat kann einen so ein geglückter Probentag regelrecht beflügeln. Wenn es Dir nach langer Zeit endlich gelingt eine Szene so zu interpretieren, dass sowohl der Regisseur als auch Du selber damit rundum zufrieden sind. Du hast es immer wieder versucht, hast die verschiedensten Dinge ausprobiert, doch es wollte nicht gelingen. Man diskutiert, versucht Lösungen zu finden – vergebens. Der Funke will nicht überspringen. Du bist schon kurz davor zu verzweifeln. 

Dann, eines Morgens auf der Probe, versuchst Du es mit einer völlig neuen Herangehensweise. Und auf einmal bekommst Du den Zugang zu diesem Moment: Es ist, als hätte sich eine vorher unsichtbare Tür geöffnet, ein Männlein steht in der Tür und winkt Dich herein. Und drinnen ist sie – die Erleuchtung. Das alles kann so vor der Kamera natürlich nicht stattfinden. Deswegen auch hier – klarer Punkt an das Theater.

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Kino vs. Theater: Das Publikum

Die Berührungspunkte mit dem Publikum sind denkbar unterschiedlich. Am Theater genießt man den unmittelbaren Kontakt zum Publikum. Man profitiert in der Regel von den Auswirkungen des sogenannten Feedbacks, welches sich in der Komödie durch Lacher und Szenenapplaus ausdrückt und im Drama durch absolute Stille. 

Man spricht ja oft vom Brot des Künstlers, wenn man über den Schlussapplaus redet. Mindestens genauso wichtig finde ich aber diese Momente, in denen Du dieses Feedback während des Stückes bekommst: In denen Du das Gefühl hast, Dein Publikum im Griff zu haben und in denen Du es schaffst, die volle Konzentration der Menschen im Zuschauerraum auf die Bühne zu lenken. Die Momente in denen keiner dieser Menschen auf die Uhr sieht, mit seinem Nachbarn redet, sich die Nase putzt, hustet, atmet.  Ja, man hat sogar das Gefühl, sie würden den Atem anhalten. Das sind die Augenblicke, die das Theater für einen Schauspieler so besonders machen und ihn regelrecht süchtig werden lassen.

Du hast als Schauspieler am Filmset ebenfalls ein Publikum, nämlich das Filmteam. Ein Publikum welches nicht zu unterschätzen ist. Die Filmschaffenden, die Dich beobachten während Du vor der Kamera agierst, kennen diese Situationen und sind dementsprechend unaufgeregt. Dementsprechend schwer und selten ist es ein Filmteam zu beeindrucken. Nicht umsonst zählt der Applaus der Mitarbeiter eines Filmsets zu den absoluten Highlights im Leben eines Schauspielers.

Im Grunde ist es gleichgültig wie groß Dein Publikum ist: Ob es 1000 Menschen im Zuschauerraum eines Theaters sind, 70 Mitarbeiter an einem Filmset oder Millionen vor dem Fernseher bzw. im Kino. Am Ende ist es immer eine undefinierbare Masse, ein Neutrum, von dessen Existenz Du zwar weißt, was Dich aber nicht weiter beeindrucken sollte. 

Letztendlich spielst Du ohnehin für Dich. Zwar mit Deinen Kollegen, aber für Dich. Wenn Du anfängst für Dein Publikum zu spielen, ihm gar gefallen zu wollen, hast Du schon verloren.  Ich würde hier also ein Unentschieden geben.

Kino vs. Theater: Die Pannen

Beim Film kannst Du wiederholen – im Theater nur improvisieren. Auch der letzte große Unterschied zwischen Bühne und Kamera liegt auf der Hand: Was passiert, wenn sich ein Schauspieler verspricht? Wenn er einen Hänger hat, ihm also der Text nicht mehr einfallen will? Oder wenn die Performance deutlich unter seinen Möglichkeiten bleibt?

Beim Film wiederholst Du die Szene einfach. Gegebenenfalls so oft, bis alle damit zufrieden sind. Im Theater musst Du diese Kröte schlucken und das ist auch nicht so schlimm. Das Publikum, sofern es das überhaupt realisiert, wird es Dir verzeihen. Sie lieben diese Pannen sogar. 

Schlussendlich kann immer alles passieren. Das ist es, was die Spannung oben hält. Sowohl beim Schauspieler, als auch beim Publikum. Trotz allem – diesen Punkt würde ich an die Kamera geben. Eben deswegen, weil es die möglichst beste Performance garantiert. 

Alles in Allem steht’s nun 3:2 fürs Theater. Denkbar knapp. Ich würde es daher als unentschieden werten, ist es doch die Vielfalt, die diesen Beruf so interessant macht. Tagsüber drehst Du einen Psychothriller, in dem Du im Blutrausch auf Deine Nachbarin losgehst und am Abend stehst Du auf der Bühne und spielst eine Screwball Komödie, in der die Leute sich auf die Schenkel klopfen. Herrlich!  

Euer Heiner Lauterbach

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